Binsenthal - Zwangsarbeiterlager der Gruben Dechen und Heinitz

Ende 1942 waren in der 'Grube Ost' der 'Saargruben-AG, d.h. in den Bergwerken um Neunkirchen, 662 sowjetische Zwangsarbeiter und 1.533 Kriegsgefangene eingesetzt, von insgesamt 2.959 Zwangsarbeiter und 1.905 Kriegsgefangenen bei allen Gruben des Konzerns. Wie in allen anderen Bergwerken des Saargebietes wurden auch in den Gruben Dechen und Heinitz Zwangsarbeiter*innen eingesetzt. Diese wurden in mehreren getrennten Lagern untergebracht, die nahe an den verschiedenen Zugängen zum Grubennetzwerk lagen. Neben einem Lager in der Ziegelei in Elversberg, existierte auch eines im Binsenthal, wo über 570 Kriegsgefangene aus Frankreich und der Sowjetunion für die Zwangsarbeit auf der Grube untergebracht waren.  Das Lager Binsenthal beherbergte nicht nur die Arbeiter für Dechen, sondern auch die benachbarte Grube Heinitz. Die Arbeiter für Dechen waren als Außenkommando 720, die für Heinitz als Außenkommando 726 durch das Kriegsgefangenenlager StaLag XII F in Forbach abgestellt worden. Die Bedingungen im Lager Binsenthal wurden durch Zeitzeugen als katastrophal beschrieben. Ungeziefer bevölkerte die Wände in Schlaf- und Waschräumen, die harte Arbeit laugte die Arbeiter dermaßen aus, dass sie selbst bei drohenden Luftangriffen ihre Schlafstätten nicht mehr verließen. Im März 1945 war die Front so nahe an das Lager herangerückt, dass es unter Artilleriebeschuss der Alliierten geriet. Am 14.03.1945 versuchte die Wachmannschaft die Evakuierung des Lagers, konnte jedoch die Ordnung nicht mehr aufrecht erhalten, sodass mehreren Gefangenen die Flucht gelang.

Im Herbst 2021 erreichte uns eine Anfrage von Victor Siemonsma, der ein Jahr zuvor mit seiner Frau ins Saarland gereist ist, um das Schicksal ihres im Lager Binsenthal verstorbenen Großvaters Peter Federov zu erforschen. Dabei besuchten sie auch das Gelände im Binsenthal, wo früher das Lager für die Zwangsarbeiter*innen eingerichtet wurde. Entsetzt stellten die Beiden fest, dass auf dem Gelände kein Hinweis auf dieses menschenunwürdige Lager zu finden ist. Diesen Umstand würden wir gerne ändern und suchen nach einer Gruppe aus Neunkirchen, die gemeinsam mit uns ein Erinnerungszeichen für die vielen Zwangsarbeiter*innen errichten wollen. Bei Interesse, schickt uns eine Mail an: denneler@landesjugendring-saar.de.

Erinnerungen an Peter Federov, Zwangsarbeiter auf der Grube Heinitz

Peter Fedorov (*1915) stammte aus dem Dorf Michalovo im Nordwesten Russlands, das damals zur Sowjetunion gehörte. Er arbeitete auf einer Gemeinschaftsfarm (kolkhoz). Als Peter am 22. Juni 1941 zu einer Party ging, kam im Radio die Nachricht, dass Deutschland in die Sowjetunion eingefallen war. Er musste sich sofort dem 249. sowjetischen Infanterieregiment anschließen, das in Estland stationiert war, um die Einnahme von Leningrad zu verhindern.

"Dieses Mal wirst du nicht zurückkehren", sagten seine Freunde zu Peter, als er die Party verließ. Peter hatte den Winterkrieg zwischen Finnland und der Sowjetunion (1939-1940) überlebt. Er kehrte mit einer Kugel im Rücken und mit Fingern zurück, die er aufgrund von Erfrierungen kaum noch bewegen konnte.

Am 7. August 1941 wurde das 249. sowjetische Infanterieregiment südlich von Rakvere (Estland) von der 18. deutschen Armee besiegt. Peter wurde von den deutschen Truppen gefangen genommen. Sie zwangen ihn, für kurze Zeit im Dulag 102, einem großen Militärgebäude in Rakvere, zu bleiben. Dann wurde Peter mit dem Zug in das Stalag 307 (Zitadelle von Dęblin) deportiert, das in der Mitte des "Dreiecks des Todes" im Generalgouvernement zwischen Sobibor, Treblinka und Auschwitz lag. Möglicherweise arbeitete Peter an der Erhöhung der Deiche an der Weichsel, am Bau eines Militärflugplatzes oder an einem Eisenbahnknotenpunkt. Krankheit, Kälte und willkürliche Exekutionen forderten etwa 60 Opfer pro Tag. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kriegsgefangenen überlebte Peter dieses Lager. Während seines Aufenthalts in Dęblin meldeten die sowjetischen Behörden Peter als "vermisst", da sie nichts über sein Schicksal wussten.[Bis 2019 ging Peters Familie davon aus, dass er in Estland gestorben war.]

Im Dezember 1942 machte Peter eine anstrengende 13-tägige Zugfahrt von Dęblin nach Bolchen (Boulay-Moselle) im annektierten Lothringen, Frankreich, zusammen mit 49 anderen Kriegsgefangenen in einem Güterwaggon, fast ohne Nahrung und Wasser. Zusammen mit den sowjetischen Kriegsgefangenen, die diese Zugfahrt überlebten (30-70 % starben während dieser Transporte im Winter), ging er vom Bahnhof Bolchen zu Fuß zum Stalag XII F/Z, einem Selektionszentrum für sowjetische Kriegsgefangene. Es wurde auch Johannis Bannberg oder Camp Ban du Saint Jean genannt und war eine Zweigstelle des Stalag XII F in Forbach. Die sowjetischen Kriegsgefangenen nannten es auch das "Schwarze Lager".

Peter wurde als körperlich fit genug für den Untertagebau angesehen. Nach Dekontaminierung, Entlausung und Registrierung wurde für ihn das Arbeitskommando 726 (Zeche Heinitz bei Neunkirchen) ausgewählt. Es ist anzumerken, dass ab Ende 1942 größere Mengen Roheisen für die Kriegsindustrie produziert werden mussten. Deshalb musste die Förderung von Kohle hochgefahren werden. Immer mehr sowjetische Kriegsgefangene wurden im saarländischen und lothringischen (Untertage-)Bergbau eingesetzt. Peter war einer von ihnen. Bevor er nach Neunkirchen gebracht wurde, blieb Peter zwei Wochen im Stalag XII F/Z. Die Lagerkost war sehr dürftig, mit nicht mehr als 200 Gramm Schwarzbrot am Morgen, einigen Kohlblättern am Nachmittag und zwei gekochten Kartoffeln am Abend.

Wie die anderen sowjetischen Kriegsgefangenen in Heinitz arbeitete Peter an den gefährlichsten Stellen des Bergwerks, in bis zu 500 m Tiefe. Außerhalb seiner 84 wöchentlichen Arbeitsstunden war er in einem Barackenlager in der Nähe des Bergwerks, dem "Binsenthal", untergebracht. Hier war Peter zwischen dem 5. Februar 1943 und seinem Tod am 9. März 1944 inhaftiert. Das Lager Binsenthal war berüchtigt für seine mangelhafte Hygiene. In den Baracken, in denen während des Krieges Hunderte von sowjetischen Kriegsgefangenen untergebracht waren, wurden Läuse und Bettwanzen gefunden. Bis zum Sommer 1943 wurden die Kriegsgefangenen von der Grubenküche Heinitz verpflegt. Die Situation verschlechterte sich erheblich, als die Gefangenen aus der Küche des Lagers Binsenthal selbst verpflegt wurden. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Peter an einer Krankheit litt oder Opfer eines Unfalls in der Grube wurde. Wahrscheinlich an den Folgen von extremer Erschöpfung und Unterernährung starb Peter am 9. März 1944 im oder in der Nähe des Lagers Binsental, weit weg von seiner Familie. Es gibt kein Grab mit Peters Namen.

Bis heute erinnert im Binsenthal nichts an das Lager, in dem so viele Menschen unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht waren. 

Verwendete Quellen:

  • Hermann Volk, Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Bd. 4 Saarland, Köln 1989, S. 94.
  • Liste der Außenkommandos des StaLag XIIF: https://www.moosburg.org/info/stalag/stalag12f.html, (Letzter Aufruf:20.09.2021)

zu Peter Federov: 

  • Die Infos zu Peter Federov stammen von einem Verwandten, Victor Siemonsma, der in Holland lebt und sich auf die Spurensuche nach dem Verbleib des Großvaters seiner Frau gemacht hat. Bis vor einigen Jahren wussten sie nur, dass er im Zweiten Weltkrieg verstorben war. Per Zufall entdeckten sie, dass Peter Federov im Saarland Zwangsarbeit leisten mussten und starteten eine umfassende Recherche. Entstanden ist eine rund 70-Seitige Broschüre, die den Verfolgungsweg von Peter Federov sehr detailliert beschreibt. Für die Website hat Victor Siemonsma eine gekürzte Version auf englisch verfasst, wofür wir uns ganz herzlich bedanken. Übersetzung: Lisa Denneler, Landesjugendring Saar e.V.

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