Rehlingen - Lothar-Kahn-Schule

Lothar Kahn

Lothar Kahn wurde am 01. Juni 1922 in Rehlingen geboren. Er war Sohn des Kaufmannes Gustav Kahn und dessen Ehefrau Selma Kahn, geb. Kasel. Seine Eltern hatten in Rehlingen in der Poststraße ein gut laufendes Haushalts- und Eisenwarengeschäft übernommen. Dieses Geschäft übernahmen seine Eltern von seinem Großvater Ferdinand Kasel. Lothar Kahn bekam am 8. Januar 1927 eine Schwester; Caroline Liesel Stein, geb. Kahn.

Er verbrachte seine Kindheit bis 1935 in Rehlingen. Hier besuchte er von 1928 bis 1932 die katholische Volksschule. In dieser Zeit erlebte – wie Lothar Kahn in seinen Memoiren[1] berichtet - die ersten antisemitistischen Anfeindungen. Er war mit einem weiteren jüdischen Mädchen in der Klasse. Sobald der Lehrer sie gelobt hatte, wurden sie als „dreckiger Jud“ beschimpft. Diese Aussage war ihm damals völlig unbekannt und so fragte er zuhause nach, was dies zu bedeuten hätte, er wäre ja schließlich sauber und gewaschen. Seine Mutter führte dies auf Neid der Mitschüler zurück. Vom katholischen Religionsunterricht waren beide befreit.

Eine besondere Beziehung hatte die Familie zu einem Lehrer namens Engel. Er kam oft für Gespräche zur Familie Kahn und sprach sich gegen die Nazis aus. Diese Besuche musste er nach der Saarabstimmung und dem Anschluss des Saargebiets an das Deutschen Reich (Saarübernahme Hitlers) einstellen. Jedoch hat er sich auf offener Straße durch ein leises Kopfnicken von der Familie Kahn verabschiedet, als sie 1935 emigrieren mussten. Ein Jahr später war er pensioniert.

In den Jahren 1932-1935 besuchte Lothar das Realgymnasium (Das heutige Albert-Schweitzer-Gymnasium) in Dillingen. Hier erlebte er stärkeren Antisemitismus. Dieser wurde nach der Saarabstimmung 1935 auch in Rehlingen immer mehr zu spüren. So hörte er schon einen Tag nach der Abstimmung von seinem Bett aus die ersten Nazigesängen von bisherigen Kunden und Freunden der Familie auf den Straßen: „Wenn´s Judenblut vom Messer spritzt, dann geht´s nochmal so gut.“.[2]  Ab jetzt blieb der Laden tagsüber leer, da niemand mehr bei ihnen einkaufen wollte. Am Abend und in der Nacht jedoch klopften die Kunden im Geheimen an der Hintertür, um nicht erwischt zu werden, wenn man bei einem Juden einkaufte.

In der Schule wurde der Judenhass immer stärker. Er wurde von Mitschülern nur noch distanziert behandelt und Lothar merkte, dass auch die Lehrpersonen unter Druck standen. Mitglieder der Hitlerjugend durften wegen fehlenden Hausaufgaben nicht getadelt werden, er hingegen wurde argwöhnisch und zynisch angesprochen, wenn er eine Frage auf die deutsche Geschichte beantworten konnte, obwohl es ja gar nicht „seine“ Geschichte sei. Der Hitlergruß wurde zu einem festen Bestandteil im Schulalltag. Zunächst verweigerte Lothar den Gruß auszuführen. Bei einer Versammlung in der Aula tat es dann doch zögerlich, woraufhin er von einem Jungen sofort ermahnt wurde: „Nimm den Arm runter, dreckiger Jude, deine Sorte wollen wir nicht“.[3] Er empfand das Leben als jüdischer Jugendliche in der Nazizeit als bedrohlich und schutzlos. Niemand konnte ihm bei einer Prügelstrafe helfen. Ob sie berechtigt war oder nicht, er war den Nazis ausgelieferten.

Insgesamt lebten sechs jüdische Familien in Rehlingen, die nach dem Anschluss an das Deutsche Reich immer öfter über eine mögliche Auswanderung sprachen. Treibende Kraft in der Familie Kahn war seine Mutter. Sie sprach sich sehr früh dafür aus und erkannte die Gefahr in Rehlingen für ihre Liebsten. Der Vater reagierte anfänglich nur zögerlich auf ihre Pläne. Dank der Beharrlichkeit von Mutter Selma Kahn verkaufte die Familie ihren Besitz, leider notgedrungen sehr unter Wert und bereitete alles für das Exil vor. Die Schulden an Juden brauchten nach einer späteren Gesetzesänderung nicht mehr zurückgezahlt zu werden, so dass die Familie Kahn nie den gesamten Erlös für den Verkauf ihres Besitzes erhielt.

Das letzte Familienfest, das in Rehlingen gefeiert wurde, war im Juli 1935 Lothars Feier des Bar-Mizwa-Festes (Fest der religiösen Mündigkeit). Es reisten Familienmitglieder aus Deutschland und Frankreich an, aber es wurde nur noch im leisen Ton und in gedämpfter Stimmung gefeiert.[4]

Drei Monate später, am 4. Oktober 1935, flüchtete die Familie nach Luxemburg. Hier besuchte Lothar Kahn in Bettembourg die école primaire supérieur. Die Eltern hatten in Luxemburg keine Arbeitserlaubnis und so warteten sie auf Erteilung der amerikanischen Visen. Am 8. Dezember 1936 reisten sie weiter nach Le Havre, von wo aus sie am 6. Januar 1937 auf der S.S. Paris nach New York gereist sind. In New York baute sich die Familie Kahn ein neues Leben auf. Die beiden Kinder besuchten in New York die Schule, während der Vater Gustav versuchte die Familie zu ernähren. Da er der englischen Sprache nicht mächtig war, fand er anfänglich keine Arbeit. Schließlich arbeitete er u.a. als Tellerwäscher, Lagermitarbeiter, Bürstenverkäufer und nahm andere Gelegenheitsarbeiten an, um die Familie über Wasser zu halten. Diese Arbeit war für den Vater sowohl körperlich aus psychisch eine schwere Belastung.

Lothar und seine Schwester Liesel Kahn machten in den USA beide nach ihren Studien einen universitären Abschluss. Liesel studierte Psychologie und Lothar wurde später Professor für Moderne Sprachen an der Central Connecticut State University in New Britain. Er heiratete die Saarbrückerin Lore Stern, eine deutsche Jüdin. Das Ehepaar bekam drei Kinder.

Seinen beruflichen Schwerpunkt legte er auf die Vermittlung der deutschen Sprache und insbesondere die der deutsch-jüdischen Kultur an amerikanische Studierende. Die schwierige Beziehung zwischen dem Judentum und der deutschen Bevölkerung spielte hierbei immer eine Rolle. Lothar Kahn war dabei jedoch nie vorwurfsvoll oder tadelnd, sondern er suchte nach Erklärungen und Lösungswegen, um zwischen den Kulturen zu vermitteln. Mehrmals besuchte er mit Studierenden seine Heimat Rehlingen und stand in Kontakt zur Familie der damaligen Haushälterin.

1990 erhielt er von der Universität Frankfurt/Main den Ehrendoktortitel für seine Arbeit. Am 22. Januar 1990 verstarb Lothar Kahn plötzlich an akuter Leukämie und konnte diese Ehrung leider nicht mehr persönlich in Empfang nehmen. Aber nicht umsonst wird er in einer Rede von Prof. Dr. Hubert Ivo mit folgenden Worten gewürdigt: „Persönlichkeiten wie ihm verdanken wir es, dass wir (Deutsche) nach dem Kriege im Ausland nicht ganz angelehnt wurden und wieder Kontakt zur westlichen Welt bekamen.“

Auch wir sollten uns an ihn erinnern, damit seine humanistischen Gedanken und seine positive und versöhnliche Einstellung in einer toleranten Gesellschaft nicht verloren gehen.

Nachdem ein Historikerkreis aus Siersburg auf seine Biographie gestoßen war, wurden seine Memoiren ins Deutsche übertragen und mit Erläuterungen versehen. Im Jahr März 2009 wurde die Gemeinschaftsschule in Rehlingen, nach zahlreichen Informationsveranstaltungen, nach ihm benannt. Seitdem werden die SchülerInnen täglich an eine jüdische Familie aus Rehlingen erinnert, die während des Nationalsozialismus in die USA flüchten musste. Diese Thematik beschäftigt die Lothar-Kahn-Schule seitdem sehr intensiv. Die Schüler*innen haben viele Projekte gestartet, wie die Verlegung einiger Stolpersteine in Rehlingen-Siersburg und die Gestaltung einer Homepage hierzu. Einige Jahre später wurde die Verlegung der QR-Codes zu den Stolpersteinen initiiert.  Auch hat sie mehrere Action Bounds zu Lothar Kahn und dem jüdischen Leben in Rehlingen erarbeitet. Im letzten Schuljahr wurde der 100. Geburtstag von Lothar Kahn zum Anlass genommen, um ein Schulfest unter dem Motto „Fest der Kulturen“ zu feiern. Hier wurden alle Kulturen der Schulgemeinschaft gefeiert und wertgeschätzt.

Aus Anlass des Geburtstages intensivierten die SchülerInnen auch den Kontakt zwischen unserer Schule und der Familie Kahn in den USA. Im vergangenen Jahr haben SchülerInnen der Klassenstufe 10 einen Film über sein Leben gedreht. Dabei wurden via Internet auch einige Familienmitglieder aus den USA interviewt.

Im Nachgang zeigte sich deutlich, dass eine interkulturelle Feier, die von den SchülerInnen selbst organisiert wurde, stark zur gegenseitigen Toleranz und Akzeptanz beigetragen hat.

Gemeinsam mit der Klasse 7c wurde 2023 im Rahmen des Projekts "Damit kein Gras drüber wächst" eine Graphic Novel gestaltet, die episodisch Lothar Kahns Leben nacherzählt. Die Graphic Novel findet ihr hier: Lothar Kahn – Ausgrenzung & Versöhnung – Stolpersteine Rehlingen-Siersburg (stolpersteine-rehlingen-siersburg.de)

Weitere Informationen zu den Aktivitäten der Schulgemeinschaft findet ihr hier: https://lothar-kahn-schule.de/lothar-kahn/ 

Mehr Infos zu den in Rehlingen-Siersburg verlegten Stolpersteinen findet ihr hier: https://stolpersteine-rehlingen-siersburg.de/

Den Actionbound zu Lothar Kahn findet ihr hier: https://de.actionbound.com/bound/Lothar-KahnRallye

 

Der Text zu Lothar Kahn wurde uns freundlicherweise von Kim Sarah Klemm-Kettenis, Lehrerin an der Lothar-Kahn-Schule in Rehlingen, zur Verfügung gestellt.

Verwendete Quellen: 

[1] Kahn, Lothar: „Der Weg ins Exil - Erinnerungen eines Rehlingers. Saarbrücken 2001. S. 51 ff.

[2] Kahn, Lothar: „Der Weg ins Exil - Erinnerungen eines Rehlingers. Saarbrücken 2001. S. 81-82.

[3] Kahn, Lothar: „Der Weg ins Exil - Erinnerungen eines Rehlingers. Saarbrücken 2001. S. 85.

[4] Kahn, Lothar: „Der Weg ins Exil - Erinnerungen eines Rehlingers. Saarbrücken 2001. S. 103.

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